Teddy (Huschinibuh)

Lieber Huschinibuh

wenn ich an dich denke, da sehe ich deine freundlichen und tiefen Augen vor mir. Voller Verständnis und Mitgefühl. Ich erinnere mich wie ich öfters mal ein wenig länger hineinblickte und diese Tiefe zu ergründen versuchte. Wohl wissend, dass mein Kater es natürlich lieber mochte, wenn ich die Augen zusammenkniff und er dies stets erwiderte. Der kurze tiefe Blick in die verschmusten Kater Augen erweckte in mir die Erkenntnis, dass hinter den Pupillen ein ganz besonderes Märchen verborgen sein musste. Ich dachte an Feen, helles und wärmendes Licht, aber auch an einen ganz besonderen Frieden, den man für gewöhnlich auf der Erde nicht erhielte, es sei denn, wenn man eine Begegnung mit Gott gemacht hatte.

Das Tierheim und vor allem andere Katzen waren nie dein Fall gewesen. Das Schicksal wusste es und schickte mich dich zu retten. Und du schicktest mir erstmal zu Beginn unserer Bekanntschaft etwas anderes Tiefes. Keinen tiefen Blick, sondern einen purpurroten Kratzer auf der Oberseite meines Armes. Jetzt wo du nicht mehr da bist, zumindest nicht real zu sehen, oder zu hören, vermisse ich diese Kratzer. Das Verhaken deiner sanften Kralle in meiner Fingerspitze. Würde dies die Bedingung sein, um nur eine Stunde mit dir wieder hier verbringen zu dürfen, in deinem Zuhause auf der Erde, so würde ich dir liebend gerne auch die anderen Fingerspitzen und Armstellen zur Verfügung stellen.

Tiefe gabst du mir auch in einem ganz anderen Sinn. Tief in mir, wo meine innere Stimme wohnt, das Herz liebevoll schlägt und ganz doll an dich denkt, da war nun auch dieses tiefe Loch. Ein Brunnen ohne Wasser. Mit all den Erinnerungen an dich, die jenen Brunnen so sehr mit strahlender Luft erfüllten, dass er jeden Moment wie ein Heliumballon immer weiter in die Höhe steigen und somit mich zu dir bringen müsste.

Doch meine Zeit war noch nicht gekommen. Und, wenn sie kommen mochte, war es beruhigend und wundervoll zu wissen, dass du mich dann willkommen heißen würdest. Im Himmel.

Warum musstest du mit 15 Jahren schon gehen? Auch, wenn Kater im idealsten Falle stolze 20 Jahre leben konnten, hätte ich mit dir auch liebend gerne mein ganzes Leben verbracht. Ich habe auf die Frage eine Theorie.

Ich werde nicht den Moment vergessen, als du draußen vor dem Eingang unserer Haustür dein Köpfchen in den Himmel gerichtet hattest, den verlockenden Duft nach Rosen, dem Frühling, und der Vögel hoch oben in den Lüften kreisend, in dich aufnahmst und es dann geschah. Ein Hund, der mich früher mal beim Fahrradfahren in den Schuh gebissen hatte und dessen wildes Gebell die ganze Nachbarschaft erschütterte, tauchte plötzlich auf. Du als schwarzer Kater mit deinem weißen Kringel in der Schwanzmitte und dem weißen Tupfer am Schwanzende standest gegenüber dem weißen Hund mit im Chaos verteilten schwarzen Flecken. Du gucktest besonnen und warst still. Man bekam den Eindruck als würdest du per Gedanken versuchen mit dem Hund, oder mit mir, zu kommunizieren. Und der Hund war auch still. Wo war sein Bellen? Es mochte nur eine kurze Zeit gewesen sein, die mir jedoch wie ein ganzer Fernsehabend mit einer Serie, einem Film und einer Doku vorgekommen war. Und dann gingst du in den Hausflur und der Hund weiter. Als wäre nichts gewesen. Was für ein cooler Kater. Huschinibuh der Superheld.

Und da entwickelte sich nach und nach meine Theorie, dass du deswegen gegangen warst, weil die dich da oben brauchten. Da oben, wo auch all die anderen Haustiere entschwanden, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Manche wurden Bäcker, andere Polizisten. Und eines war der Präsident, welcher dich brauchte. Den Huschinibuh. Den Superheld.

Der Moment, an welchem du gingest, war ein sehr ruhiger und friedvoller. Du warst friedlich eingeschlafen. Noch ehe du dich aufmachtest, um als Superheld Huschinibuh dem Guten auch im Himmelreich kräftig nachzugehen, machtest du dich in den letzten Lebenssekunden wie selbstverständlich sauber und putztest mit deiner schneeweißen Pfote dein so kostbares Gesicht.
Jetzt gerade, wo ich dir diese Zeilen widme regnete es. Nicht in Strömen. In einem beinahe schon gemütlichen Takt. Kein Prasseln am Fenster. Nur hörbar, wenn ein Auto über die eine oder andere Pfütze ganz behutsam hinübergleitet. Sind es Tränen von dir? Bitte höre auf zu weinen und wähle nicht den Regen, sondern das gesunde Wasser, welches neben mir steht und ich in diesem Moment zu mir nehme. Ich befinde mich drinnen und kann deine Tränen nur visuell hinter dem Fenster sehen. Lass mich dich in meinem Inneren spüren. Und dich trösten. Ich nehme einen Schluck. Erfrischend. Ich denke an die Zeit, die ich mit dir draußen bei einem gemeinsamen Spaziergang verbringen durfte. Du als Wohnungskatze draußen in all den verschiedenen Verstecke der Büsche und Sträucher. Dich hatte der Regen nicht so sehr gestört. Du fandest die Stimmung faszinierend und sahst dem Geschehen zu. Mir wurde kalt, aber das Geräusch des regelmäßigen Tropfens der Regentropfen vom Vordach des Hauses hinunter auf die Mitte des Buschblattes war gerade deswegen so erwärmenden, weil du dich dafür so begeistert hattest.

Viel trockener und kuscheliger war es in der Nacht. Ohne Ausnahme jede Nacht kamst du zu mir und schmiegtest dich ganz nah an mich. Dein Schnurren vibrierte und ich vernahm es in meinem Inneren als ginge es von mir aus. Man hätte die Uhr stellen können. Meist nur wenige Minuten, nachdem ich mich unter die Bettdecke gemummelt hatte, hörte ich schon deine Pfoten Schritte majestätisch über den Flur näherkommend. Und nicht immer gelang es dir sofort auf mein Bett zu springen. Ab und an, wenn Geschehnisse passierten, die man nicht so sehr mit einer Frau, sondern vielmehr einem Mann zuordnete, in denen man so gar nicht gestört werden wollte, konnte man dich nur mit Mühe dazu verleiten geduldig auf das Ende besagter Geschehnisse zu warten auf die ich nicht mehr eingehen werde. So nah wie wir verbunden waren, da brauchte ich dann doch ein paar Minuten Ruhe.

Es ist leider zu ruhig ohne dich geworden. Ich vermisse deinen Stempel. Genau der Stempel, den du auf die Papiere und Blätter stempeltest an denen ich zu arbeiten hatte. Die Farbe war bräunlich und die Form rund. Ein Fleck, der nicht mehr weg ging. Und es war gut so. Die Papiere mit eben solchen Flecken habe ich jedoch nicht aufbewahrt. Sondern Fotografien von dir, an welche ich mich lieber erinnere. An deinen tiefen Blick und deine gesamte Kuscheligkeit. Und auf den Fotos lebst du und bist du noch da. Auf dieser Welt.

Noch nicht lange war es her, als du gegangen warst, und ich mich im Keller befand. Im Waschkeller. Und wie ich da so die bundgemischte Wäsche aufhing und daran denken musste wie du damals um meine Füße strichest, dachte ich plötzlich an den Schutzengel. An meinen Schutzengel. Ich wusste nicht wie er hieß und hatte auch kein Bild vor Augen. Was ich wusste war, dass er da war. Und als ich so darüber nachdachte, viel mir etwas ganz Wichtiges auf. Vielleicht wollte mein lieber Kater Huschinibuh mein Schutzengel werden? Und er wartete dort oben geduldig auf meine Bestätigung? Und ich trauerte derweil vor mich hin, dachte an schöne Zeiten, während ich doch schon jetzt in diesem Moment auf eine ganz neue und besondere Art und Weise mich ihm nähren könnte. Ich schloss die Augen und schicke meine Gefühlswelt mit dem sicheren und gut verschlossenen Fahrstuhl hinauf ins Himmelreich zu Huschinibuh, Gott, den Schutzengeln und allen Wesen, die es etwas anging. Der Fahrstuhl öffnete sich und es offenbarte sich dessen Inhalt. Ein klares und mit all meiner Liebe, Wertschätzung und Güte angereichertes Ja. Und so war das Geheimnis um den Namen meines Schutzengels gelüftet. Mein Schutzengel heißt: Huschinibuh.

Letztens ging ich durch die Vorgärten, welche sich um mein Wohnhaus drängelten. Ein Fremder sah das Grün, die Blumen und das hübsche Allgemeinbild. Und ich sah meinen Huschinibuh in tausendfacher Ausführung. Dort drüben unter dem Busch mit der grünen Farbe, die an einen Panzer erinnerte. Diesen Panzer hatte Huschinibuh schon häufiger als sein Revier markiert. Breitbeinig die Hinterpfoten in den lockeren Boden verankert und während tüchtig sein Schwanz hin und her zu wackeln begann, wie eine wehende Fahne bei Windstärke 10, veränderte dieser gelbliche Sonnenstrahl diesen Panzer. Und so verwandelte er ihn mit jedem Besuch und Markieren zu einem friedlich und besinnlichen Tannenbaumgrün, dass wir an unserem Weihnachtsbaum bestaunen können.
Ich sah meinen Huschinibuh aber auch da hinten. Bei den Mülltonnen. Da ging er öfters den Gang entlang und erforschte jede Versteckmöglichkeit. Und, wenn Huschinibuh da war, da waren die Mülltonnen keine Mülltonnen, sondern wohlduftende riesige Parfümflaschen, die meinen lieben Kater vor eventuellen Hunden und Spaßziergängern hüteten wie das Licht auf die Dunkelheit aufpasste. Wobei die Dunkelheit das schwarze Fell meines Huschinibuhs meint und nicht die Dunkelheit, die irgendwie negativ behaftet sein könnte. Denn eben solche gab es nicht in den ganzen zehn Jahren, welche ich mit Teddy wie er eigentlich geheißen hatte, verbringen durfte.

Kuschelig wie ein Teddy war mein Huschinibuh auf jeden Fall. Dagegen war der Teddybär schon gefühlsmäßig der Stacheldrahtzaun eines Gefängnisses in welchem die übelsten Verbrecher einzusitzen hatten.
Ein weiches Fell hatte mein Huschinibuh. Und er roch auch so gut. Und essen liebte er. Noch genau am Todestag machte ich mich auf ins Fischgeschäft und spendierte ihm eine leckere und saftige Makrele. Und wie gut sie roch. Sein heiß geliebtes Leckerchen bekam er aufgrund seines Zustandes leider nicht mehr hinunter. Und meine angesammelte Spucke in der Mundhöhle ging zeitgleich genauso schwierig in meine Speiseröhre. Völlig leicht dagegen schwebte er ins Himmelreich. Da wäre jeder neidisch geworden. Dieses leichte Schaukeln in der Hängematte am Südseestrand mit dem schönsten und klarsten Blauton des Meeres, dieser minimale Luftzug beim Aussteigen auf irgendeinem Planeten in den tiefen des unerforschten Weltalls, sowie dieser warme und kuschelige Flügelschlag einer Möwe beschrieben nur die ersten paar Prozente, welcher höchst interessanten und gemütlichen Erfahrungen und Erlebnisse mein Huschinibuh auf seiner Reise zum Himmel erlebte.

Möchte der Huschinibuh ein Würstchen? Das war einer der schönsten Sätze, welche den Huschinibuh zum sofortigen Aufstehen und Beenden seines Schlafens, oder Putzens alarmierte und ihn zum Aufbruch in die Küche und zum dortigen Vorratsschrank beinahe fliegen ließen. Bei diesem Würstchen handelte es sich um ein längliches und wohlschmeckendes Würstchen, dass nur für die allersüßesten Katzen im Supermarkt erwerblich gewesen war.

Huschinibuh musste im Himmelreich der Superheld sein. Einmal war er nämlich aus dem ersten Stock des Hauses vom Balkon gesprungen. Und als ich gefühlt jedes Zimmer ausgeräumt und nach draußen getragen hatte, um mich zum billionsten Mal zu vergewissern, dass meine Wohnungskatze nicht mehr in der Wohnung war, und mehr durch Zufall vom Balkon nach unten auf die saftgrüne Wiese blickte, da sah ich meinen heiß geliebten Huschinibuh mit dem größten Interesse schnüffelnd an Blumen und Sträuchern entlang der Hauswand flanieren und mit so einem gesunden Eindruck, als wäre er Superman höchst persönlich und bräuchte keinen Schurken zu fürchten. Höchstens in der heißesten Action an einer Unterkühlung der intensivsten Langeweile in einen Dornröschenschlaf zu entschwinden.

Eingewickelt lagst du da. Schon auf deiner Reise nach oben geführt von aller göttlicher Energie, die in uns allen innewohnt und wir alle dir schenkten um sicher anzukommen. Eingewickelt in der Wohnzimmerdecke von der kuscheligen Couch. Du regtest dich nicht, aber du warst warm. Beinahe schon heiß und glühtest vor Liebe und Positivität. Eingewickelt lagst du da. Wie ein Geschenk. Wie ein solches Geschenk voller Herrlichkeit, dass man gar nicht auspacken wollte. Wie das süßeste und vollkommenste Gebäck, dass man nicht essen wollte. Die Hochzeitstorte, die man nicht anschnitt und viel lieber auf die Ehe verzichten wollen würde, als dieser Torte auch nur ein Haar zu krümmen.
Und warm warst du wie alle Sommer, die es jemals auf dieser Erde gab und welche so gut bei den Menschen angekommen waren, dass es darüber tausende Gedichte und Lob-
und Danksagungen gibt.

Ich erinnere mich noch gut daran. Es war am Abend des Tages, als wir dich aus dem Tierheim geholt hatten und du dich unter dem Bett versteckt hattest. Ich schaute irgendetwas belangloses im Fernsehen und trug mein Shirt mit dem gelben Superman Zeichen auf rotem Grund. Und du krabbeltest aus deinem Versteck. Du kamst aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer. Du machtest einen Hüpfer und legtest dich auf meinen Bauch. Auf das Superman Shirt, da schon immer wusstest das du Huschinibuh der Superheld bist.

Für dich wollte ich der fliegende Teppich sein, wenn du altersbedingt nicht mehr gut die Treppen steigen konntest. Für dich baute ich mit Leidenschaft und viel Herzblut den Mount Everest, sodass du gemütlich und ohne Schwierigkeit die Höhe der Couch und des Bettes erklimmen konntest. Und für dich erfand ich ein Katzenklo aus Gold. So leicht gelang es dir nun in das weiße Gold des Katzenstreus hinein zu tauchen wie manch einer sein Gold mit der gleichen Leichtigkeit in nur ein paar Sekunden auszugeben vermochte.
Um das Klo herum waren die besten Sachbücher der Welt angeordnet worden. Überzogen mit dem gelben und goldenen Vorhang des Wohnzimmers. Ein Himmel auf Erden für das fertig im Körper verarbeitete Essen.

Du bist so wundervoll, powervoll, friedvoll und voll von Sternen, Sanftmütigkeit, Fröhlichkeit und Weisheit.
Warst du schon immer. Welch große Energie von dir ausgeht, dass merke ich jetzt, wo du real nicht mehr hier bist, in Form deines so wertvollen Zuspruches des Schicksals. Deiner unendlich geübten und sensationellen Zauberkünste den Umhang deiner Liebe über mein Leben so heiter schützend zu halten. Du sorgtest für ein glückliches und würdiges Erbe. Ganz vergnügt hattest du meine neue Katze Helga, die wir später in Lilly umtauften, auserwählt. Woher ich das weiß? Weil Lilly sofort auf mich zu gestürmt kam und sich am Kinn kraulen lassen wollte und es da keinen Zweifel mehr gab. Aber damit war es nicht genug. Eine Woche später kam der Gedanke nach einer zweiten Katze auf und du lotstest mich sicher und super gut erneut ins Tierheim. Dort kam der Charly auf mich zugestürmt und sah mein Bein als Kratzbaum und sprang frohgemut auf die Schulter der Tierarztmitarbeiterin, sodass auch da klar war, der Charly wird es werden.

Lieber Huschinibuh. Wir kommen zum Ende dieser Erzählung. Jedoch ist zwischen uns beiden kein Ende, sondern stets ein neuer Anfang in Sicht. Eine herrliche Sicht. Sonniges Wetter und himmelblaues Meer soweit man blicken kann. Und da ist auch ein Geräusch. Der Wind? Eine leichte Brise? Glaube ich nicht. Es klingt sanfter. Eine freundliche Begrüßung des lieblichen Delphins? Ich glaube es ist etwas anderes. Es klingt vertrauter. Es ist das entfernte und doch so nahe Schnurren von dir. Lieber Huschinibuh.